Unsere Flucht aus der Heimat im Jahre 1945
Frieda Frank aus Kleeberg
Es war der 27. Januar 1945, es lag in diesem Jahr sehr viel Schnee, sodass wir unsere Haustür nicht mehr zumachen konnten. Wir haben viel einpacken können, da unser Telefonapparat von Militär besetzt wurde, diese sagten uns Bescheid, wie weit die Russen vorgerückt waren. Auch des Nachts erkundigten wir uns, der Russe kam aus dem Netzekreis (über Landsberg) rüber. Wir hatten es noch gut, da wir auf dem Bahnhof (Nähe) wohnten. So hatten wir immer Verbindung und die Eisenbahner sagten uns, es ist der letzte Zug, der jetzt von Kleeberg abfährt. Es war nur ein Zug für Eisenbahner, aber trotzdem sind noch Zivilpersonen mitgekommen. Als dann in großer Eile brachte jeder sein Hab und Gut in Kisten zum Zug. Unser Handwagen blieb auf dem Bahnsteig (steht wohl heut noch da). Der Zug konnte jeden Augenblick abfahren, es war doch alles nichts genaues (Abfahrtzeiten). Mutter und unsere Mieter Dunker und Schmidt sind alle ein paar Stunden voraus mit dem Zug gefahren, kamen nach Luckenwalde. Mutter hat unser Radio (Telefunken) noch an sich genommen. Wir hatten Mutter am 27. Januar noch Bescheid gesagt, sie von oben runter geholt, und mithin fuhr sie mit dem Zug vorher ab. Wir hatten noch eine alte Frau aus Berlin als Bombenflüchtling, diese fuhr auch mit Mutters Zug mit. Habe mich mit Mutter verabredet, falls wir auseinander kommen, so schreiben wir an Tante Hedwig ( Schöneiche) und so haben wir uns wiedergefunden. Es ging immer noch die Post, es war ja dann schon Februar, aber nachher brach das auch zusammen.
Am 27. Januar sind wir eingestiegen in den Güterzug, standen bis nächsten Tag auf dem Bahnhof. Horst ging nochmal nach Hause, hat die Ziege besorgt, die Gänse hatte ich den Polen gegeben. Beim Abfahren habe ich noch eine Kostümjacke in Nachbars Garten geworfen. Unseren Hund Mohrchen haben wir auch mitgenommen. Dann fuhren wir endlich los, am 28. auf Mittag, wir hausten zwischen dem Gepäck, aber ohne Ofen, im Januar, na jeder hatte Mäntel genug, aber kalt war's doch. Der Bahnvorsteher Schröder und Herr Pälchen mussten da bleiben, denn es war noch ein Strohwagen auf dem Bahnhof (solch Blödsinn), denn wie der Russe nun reinkam, wurden beide erbarmungslos erschossen. Aber die Ehefrauen, die in unserem Zug auch waren, erfuhren erst in Anklam vom Tod ihrer Männer.
In Arnswalde (nächste Station) langsam angekommen, standen wir einen Tag und eine Nacht, denn der Russe war im Vormarsch (Schönwerder) und hatte uns umzingelt, aber der Deutsche hat sie wieder zurückgeschlagen. Dann ging's auch gleich los, wir haben das Schießen gehört und lebten in großer Angst. In Arnswalde, wie wir auf den Bahnhof standen, kam deutsches Militär und suchte nach wehrpflichtigen Männern (Herr Kuch hat mit müssen) und da er Eisenbahner war, sollte er auch den Strohwagen holen helfen, und ist mithin auch erschossen worden. Aber Horst haben wir hinter den Kisten und Kasten, welche bis zur Decke hoch waren, versteckt, denn er hatte ja auch den Stellungsbefehl in der Tasche. Sollte am 1. Februar los. Aber Gott lob, er ist gerettet, wir sagten: im Waggon sind keine wehrpflichtigen Männer. Was sein Freund war, Horst Klems, hat sich tags zuvor stellen müssen, und dieser ist jammervoll mit großem Blutvergießen gefallen. Die Mutter hat sein Grab besucht und ihr wurde alles genau erzählt. Nie würde sie einem Menschen raten, ein Kindesgrab zu besuchen, so schmerzlich war es für sie. Er war ja auch erst 15 Jahre alt und Horst auch. Wie nun die Strecke frei war, ging es langsam los, der Zug hat viel gehalten, als dann stiegen wir aus, unsere Not verrichten. Auf die Felder gingen alle und suchten nach Kohlrüben und Runkeln zum Essen. Auf größeren Bahnhöfen gab es auch Mittag (vom Roten Kreuz), immer Kartoffeln mit Grütze und Fett, aber es hat uns immer prächtig und gut geschmeckt. Unser Zug fuhr über Anklam und Zielbahnhof war Wolgast an der Peene, dicht an der Ziehbrücke Usedom. Wir waren genau 8 Tage unterwegs, und herrliches Wetter war, wie noch nie in der Zeit. In der Reisezeit sind wir ziemlich verdreckt, da wir uns nie waschen konnten. Wir waren wie die Schweine geworden, da habe ich erst verstehen gelernt, dass der Mensch verlausen kann. Es war schlimm unterwegs mit kleinen Kindern, nichts warmes, Windel gefroren, da hat einer einen Eisenofen organisiert, unterwegs beim Zuganhalten wurde Feuerung geklaut.
Die Bahnhofstoiletten waren überall so voll gemacht, dass der Deckel nicht mehr zu ging, dann wurde vor die Tür gesetzt, große Schweinerei überall, ein Ekel. Es ging alles drunter und drüber. Unterwegs auf unserer Hinfahrt wollte ich Erna mit den Kindern abholen, aber wenn unser Zug losgefahren wäre, so wären wir ja alles los geworden, und hätten den Anschluss verpasst. So gab ich einem Eisenbahner einen Zettel an Erna mit, dass wir schon weg sind, und Mutter auch. Erna hat den Zettel auch bekommen, die ist gleich losgemacht mit dem Zug, die Kinder noch so klein. Günther ging das erste Jahr zur Schule. Erna fuhr zu ihrer Freundin Hildegard Schröder, die wohnte in Neubrandenburg, da war auch Frau Schröder hingemacht, die auch in unserem Zug war, mithin hat sie gleich erfahren, wo wir waren. Wir schrieben an Hildegard Schröder und so fanden wir uns. Fritz war als Soldat auf Usedom und dieser besuchte uns. Wir konnten, sobald wir aus dem Fenster sahen, auf die Brücke und nach Usedom sehen, paar Schritte wohnten wir ab davon. Wir wohnten bei einem Kaufmann oben in der Kammer, Betten waren unsere Gepäcksäcke und zugedeckt haben wir uns mit den Mänteln. Gekocht habe ich eine Treppe tiefer, wenn die Hausfrau fertig war. Wie wir in Wolgast ankamen, wurden wir von der Partei verteilt, wir kamen zu einem Uhrmacher, aber dieser wollte uns nicht haben. Nun saßen wir auf der Straße auf unserem Gepäck und es wurde Abend, alsdann brachte man uns zu dem Kaufmann, der nahm uns an. Wir waren 3 bis 4 Wochen in Wolgast, aber als die Soldaten sich auf den Rückmarsch begaben und wir das Gepolter und Geratter der Fahrzeuge hörten, wurde es uns unheimlich, den nächsten Tag zogen wir alleine los. Fahrkarten brauchten wir niemals, alles ging drunter und drüber, nur Flüchtlinge waren in den Zügen aus allen Gegenden. Wir fuhren nach Neubrandenburg zu Hildegard Schröder, holten uns Erna und die Kinder, dann fuhren wir mit ihr zu Benzens nach Horst bei Neustadt. Alsdann machten wir uns auf (ohne Erna) und fuhren nach Luckenwalde, wo Mutter mit den anderen Kleebergern hingekommen war, blieben eine Nacht und nahmen Mutter mit ihrem Gepäck mit, unter dem Gepäck war auch unser Radio. Wie wir dort übernachteten, hatten wir noch Ärger mit dem Hauswart, er war ein Parteimensch NSDAP. Weil wir uns nicht persönlich bei ihm gemeldet hatten, zum Übernachten, er wollte es noch der Partei melden. Aber wir fuhren am nächsten Tag ab und wie wir später erfuhren, ist er als Parteimensch selbst noch gekascht worden. Nun fuhren wir mit Mutter zu Benzens, blieben da ungefähr eine Woche, dort waren wir unsere 7 Personen, haben uns alleine beköstigt. Der Russe kam immer näher, Benzens wurde es auch ängstlich (er war Parteimensch), wir machten uns nun alle 7 Mann auf mit Sack und Pack und zogen wieder los mit der Bahn. Papa, ich und Horst standen im Bremserhäuschen, und die Funken flogen immer rein auf unsere Sachen, da keine Scheiben mehr drin waren. Die Lok wurde nur mit Braunkohle geheizt. Unterwegs bekamen wir warmes Essen vom Roten Kreuz. Die Fahrt hat lange gedauert, weil der Zug überall lange gehalten hat, kein Durchkommen, alles verstopft. Wie wir abends in Stendal auf den Schienen wieder stehen, gab es Fliegeralarm, alles musste in Deckung gehen, alles im Dunkeln, jeder griff die Seinen und etwas Gepäck, dabei sind wir noch vieles losgeworden. Alles ging im Galopp über die Schienen, nach einer Weile war der Alarm vorüber. Aber Mutter war mit Klein-Günther uns abhanden gekommen, im Bunker. Nach langem Suchen und Ängsten haben wir sie gefunden. Wir durften uns vom Zug nicht entfernen, denn sobald die Strecke frei war, fuhr der Zug los (ohne Rücksicht). Es ist vielen so ergangen, dass sie auf diese Weise von ihren Angehörigen getrennt wurden. Unser Ziel war nach Bremen zu fahren, wir sollten in einem Vorort von Bremen-Veegesack. Kurz vor Bremen gab es wieder Fliegeralarm. Wir haben aber umgedreht und sind zurück gefahren, kamen in die Altmark (Osterburg-Stendal). Unterwegs sahen wir unsere Soldaten auf dem Rückmarsch schon landeinwärts, es gab auf der Rückfahrt Fliegeralarm, der Zug blieb stehen und wir flüchteten in den Wald und suchten Schutz. Nach etlichen Tagen kamen wir in Osterburg an, dort wurden wir in einem großen Saal untergebracht. Es war dick Stroh ausgebreitet als Bett und zugedeckt haben wir uns mit unseren Mänteln.
Familie Frank bediente das Postamt in Kleeberg.
Ernst Frank, verst. 1954 in Schöneiche bei Berlin, war nicht Soldat, war zu alt.
Er ist mit dem Zug und der Familie geflohen, seine Frau hat den Bericht geschrieben.
Sie sind zusammen mit der Mutter und der Schwester Erna Pohl geb. Geyer und den zwei Kindern geflohen.
Frieda Frank geb. Geyer, verst. 1978 in Woltersdorf bei Berlin, dort auf dem Friedhof begraben.
Horst Frank, geb. 11.10.1929 in Kleeberg, verst. 11.07.1998 in Woltersdorf, war verh., Ehefrau lebt noch.
Auch Horst war nach 1945 noch einmal in Kleeberg und wollte wieder hin.