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Landsberg (Warthe)
Kreis Landsberg (W.)

Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.

(Jean Paul)

 

Eine "Klassenreise" nach Arnswalde vom 3. – 5. Okt. 1991

Beschlossen auf dem ersten Klassentreffen in Mellendorf am 25. Mai 1991

 

Wir, das ist ein Teil unserer ehemaligen Klasse, Jahrgang 1930/31 der Oberschule für Jungen in Arnswalde, sind wieder "Zuhause",

das bedeutet für uns "Westler" Leben in einem wohlhabenden, gepflegten und vertrauten Land; in meinem Falle südlich von

Hamburg. Ich habe es übernommen, über unsere denkwürdige Fahrt nach Arnswalde und Umgebung zu schreiben; ein etwas

schwieriges Unterfangen, da sich diese Reiseerfahrung mit nichts vergleichen lässt, und zwar durch die totale Andersartigkeit einer

uns nicht mehr vertrauten Gegend. Mein Bericht ist natürlich sehr persönlich eingefärbt. Vielleicht hat es dieser oder jener unserer

Gruppe anders erlebt und empfunden.

Am 3. Oktober, unserem ersten Nationalfeiertag nach der Wende, hatten wir uns, in vier Autos aus dem Westen eingetroffen, im

Gemeindehaus in Schwedt a. d. Oder bei Dietrich Schulze, der dort seit vielen Jahren Pfarrer ist, eingefunden. Dietrich hatte uns eine Unterkunft im ehemaligen Arbeiter-Hotel im 9. Stock eines Hochhauses (mit phantastischem Blick über die Stadt) besorgt und alle

zusammen mit seiner Frau sehr herzlich bewirtet. Als wir, eine Gruppe von 15 Personen, am nächsten Morgen ohne große Umstände

die Oder überquerten, genoss man zunächst die unverbaute, ursprüngliche Landschaft an der Oder, die als besonders schützendswert

als Naturreservat erhalten werden soll, im sonnigen Herbstlicht und war froh, dass der sonst so schwierige Grenzübertritt jetzt ohne Verzögerung und lästige Kontrollen vor sich gegangen war. Im weiteren Verlauf der Fahrt aber stellte sich unmerklich ein Gefühl von

Fremdheit, beinahe Unwirklichkeit ein. Man war in eine andere, fast geschichtslose Welt geraten. Es zeigt sich bald ein eher strenges

und fast karges Land: graue, geduckte Häuser, vor den Haustüren gelegentlich männliche Gestalten, offenbar unbeschäftigt; bunt

gekleidete, fröhliche Kinder, die zusammen mit den zahlreichen kleinen Hunden undefinierbarer Rasse draußen herumtollen; fast keine

Blumen; Scharen von schwarzweiß-gefleckten Enten an den zum Teil noch erhaltenen Dorfteichen; manchmal eine alte Frau, eine Kuh

vor sich hertreibend; einige ländliche Gespanne; ab und zu eine halbzerstörte Dorfkirche, von Gestrüpp überwuchert und fast schon

wieder zu einem Stück Natur geworden.

Wir waren nicht in der Vergangenheit, die mancher vielleicht unbewusst, noch immer zu finden gehofft hatte; wir waren, dass war

sehr stark mein Empfinden, wie in einem phantastischen Film in eine Art Zeitlosigkeit geraten!

Hier lebt man offenbar ein Leben, das man einfach hinnimmt, friedlich (so scheint es), genügsam. Ein größerer Kontrast zur Tüchtigkeit

unserer Landsleute lässt sich kaum denken, denen man oft weniger Hektik und mehr Gelassenheit wünschte, den Polen dagegen, dass

sie aus dieser bedrückenden wirtschaftlichen Lage herauskämen.

Die Fahrt durch die Neumark über Königsberg, Soldin, Berlinchen, Bernstein in Richtung Arnswalde war für mich "elegisch":

eine Mischung aus Trauer (was ist aus diesem Land geworden!) und dem vagen Wiedererkennen der heimatlichen Landschaft, das 

zunahm, je näher wir der engeren Heimat kamen. Man sah die runden, jetzt abgeernteten Hügelrücken (geliebt wegen der kindlichen Schlittenpartien im Winter), halbversteckte Seen, Wald (übrigens einen überraschend schönen Buchenwald zwischen Kranzin und Schwachenwalde) und die freudig wiederentdeckten Chausseebäume, wie grüne Gewölbe über den meist gut gepflegten Straßen,

einige noch mit dem von früher her vertrauten Kopfsteinpflaster (ich spüre noch immer die Wärme der runden, gebuckelten Pflastersteine

unter den Fußsohlen, wenn wir als Kinder, barfuß natürlich, wie damals üblich, darüber hinliefen, der Erde näher als heutige Kinder).

In Dietrich Schulze hatten wir einen kompetenten Reiseführer, der Polnisch gelernt hat und damit in der Lage ist, Land und Leute besser zu erfassen als wir, und der uns vieles – im wörtlichen, wie im übertragenen Sinn – verständlich gemacht hat. Allein die polnischen Namen ...

Arnswalde ist für uns eine neue, vollkommen fremde Stadt. Daran ändert auch das Wenige, Erhaltene nichts: das Stadttor (hier ist das

Steintor gemeint) das alte Gymnasium, die gewaltige, wieder hergestellte Marienkirche, die uns der polnische Prälat freundlich erklärte:

der Innenraum, wie zu erwarten, sehr polnisch-national-katholisch gestaltet; architektonisch wieder sehr schön und eindrucksvoll im Stil

der nordischen Backsteingotik restauriert (weiß getünchte Wände, rote Steine bei Pfeilern und den Deckengewölben); zwei mannshohe Steinplatten, in eine Seitenwand eingelassen, mit deutschen Inschriften aus einem früheren Jahrhundert. Der Kirchturm bekommt gerade

ein neues kupfernes Dach. Die allseits gewünschte und uns freundlicher Weise gestattete Turmbesteigung scheiterte allerdings an

technischen Schwierigkeiten. Draußen im Freien der typische, lebendige Polenmarkt! An dieser Stelle möchte ich, damit kein falscher

Eindruck entsteht, noch hinzufügen: mit der Kirche verbunden ist das Bemühen der Polen unübersehbar, mit dem man Altes und Geschichtsträchtiges wiederherstellen und vor dem Verfall retten will.

Während die echten Arnswalder sich noch weiter in der Stadt umsahen und um den See wanderten, fuhren wir, die "Hackerschen Zwillinge",

mit meiner Schwägerin und Dietrich nach Hitzdorf, dem eigentlichen Ziel unserer Reise.

Das Wiedersehen mit dem alten, jetzt teilweise zugemauerten und grau verputzten, von wildem Gestrüpp fast zugewachsenen Elternhaus

war ein nicht zu fassendes, nicht zu beschreibendes Erlebnis! Auch die noch so gut erinnerte Landschaft hatte sich natürlich nach 45 Jahren sehr verändert. "Unser See", der Buckow-See, mit den vielen Kindheitserinnerungen an sommerliche Badefreuden und im Winter Schlittschuhlaufen, ist so zugewuchert, dass man nicht leicht ans Ufer vordringen kann. Wir besuchten unsere Kirche, ein freundliches

Ehepaar auf dem ehemals Wegnerschen Hof schloss uns die Tür der Sakristei auf und ließ uns ein. Auch hier natürlich die Verwandlung

in eine andere, uns fremde Kirche. Auch die Kanzel war nicht mehr da.

 

 

Hitzdorfer Kirche vor dem Krieg - mit Kanzel und Taufbecken.

 

 

Das Wiedersehen - leider aber nicht das Wiederhören - der uns aus Kindheitstagen so vertrauten Orgel, die mein Vater treu an

jedem Sonn- und Festtag gespielt hatte, war bewegend. Einige Kinder kamen zaghaft näher, als der rote, unübersehbare Wagen

meines Bruders gegenüber der Kirche parkte. Für die Kinder sicherlich ein Ereignis. Das kleine Mädchen "von Wegners" brachte

uns zwei kleine Kätzchen, um sie uns schüchtern zu zeigen. Mich hat das alles sehr angerührt.

Aber eine einzige Erinnerung trifft mich plötzlich ganz unmittelbar: mitten im Dorf lärmt und zwitschert es in einer alten Eiche (noch aus "unserer" Zeit?) so laut, wie es ich nur damals in Hitzdorf und nirgendwo später gehört habe. Jedes Jahr im Oktober ließen sich ganze Schwärme von Zugvögeln in den uralten Maulbeerbäumen, noch aus der Zeit des Alten Fritz stammend, am alten Friedhof nieder und veranstalteten einen Riesenspektakel. Man sah unterwegs große V-förmige Vogelformationen nach Süden ziehen, offenbar sind wir auf

einer echten Vogelfluglinie.

Nachmittags gegen vier Aufbruch von Arnswalde, diesmal über Pyritz, vorher über das nahegelegene Dölitz, wo Waltraut das Grab ihres

Vaters aufsuchen will ...

Als es zu dämmern anfing (vielleicht liegt es auch an der Jahreszeit?) ist eine schwer zu fassende Versunkenheit über der Landschaft.

Alle Orte ähneln sich zum Verwechseln in ihrem monotonen Grau. Gab es denn auch zu unserer Zeit so viele kleine graue Häuser?

Die Ankunft in Schwedt ist fast so etwas wie eine Heimkehr ins Vertraute.

Ich möchte die Frage stellen. Haben wir nun "Heimat" wiedergefunden? Ja und nein. Nein im topografischen Sinn, ja im Hinblick auf

Menschen, denn unsere "Restklasse" sah sich teilweise zum ersten Mal nach 45 Jahren wieder und erlebte ein so unproblematisches

und herzliches Wiedersehen, wie man es vorher nicht für möglich gehalten hätte. Wir alle haben in den dazwischen liegenden Jahren von

1945 – 1991 viel erlebt, und es gibt schwere Schicksale darunter, aber die Freude des Wiedersehens war so groß, dass wir alles

Belastende – jedenfalls zeitweilig – hinter uns ließen und so laut (das stimmt doch?) und unbekümmert miteinander umgingen, wie man

es von Senioren eigentlich nicht erwarten würde, man war eben wieder in seiner alten Klasse! Besonders das Wiedersehen mit den bisher

von uns getrennten Klassenkameraden bzw. Klassenkameradinnen Gerda Biederstaedt-Wiener, Waltraut Vietzke, Hans-Otto Furian und Dietrich Schulze war für uns alle eine große Freude.

"Alles wirkliche Leben ist Begegnung" steht auf einer Karte, die mir eine Freundin aus der DDR vor Jahren geschickt hat und die ich

aufbewahrt habe, weil mir der Text so gefällt; ich möchte den Spruch noch ein bisschen weiter fassen: leben ist auch Wiederbegegnung. Heimat, das sind Menschen, in denen eine gemeinsame Erinnerung lebt, und die darum für uns unverlierbar wird.

Ein großes Dankeschön an Heidelore Drews, Bernhard Strathaus und Dietrich Schulze, die uns all dies möglich gemacht haben!

Mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen an die alte Arnswalder Clique und alle Heimatfreunde!

 

Eure Magret Sattler (geb. Hacker)

 

 

       

Arnswalde - Marienkirche.

 

Marienkirche - Altar vor 1945.

 

Marienkirche- Innenansicht nach 1945.

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