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Aber die Heimat blieb dort

Joachim Gast (Reisebericht von 1990)

 

Ich bin in Berlin geboren. Mit 16 Jahren kam ich 1935 nach Kleeberg, um Landwirtschaft zu erlernen. Es war eine harte, aber auch gute und schöne Zeit.

"Hart" empfindet sicher jeder Junge das Abkoppeln von den Eltern, wenn man nur zweimal im Jahr zu Besuch fahren darf. So schaute ich manchmal dem in Kleeberg nicht haltenden Eilzug nach. Auf der Rückfahrt vom Urlaub in Arnswalde umgestiegen, war dann die Kleeberger Windmühle das Zeichen zum Aufstehen und Aussteigen. Einmal suchte ich sie vergeblich, abgebrannt in den Zwischentagen.

"Gut" war die Zeit, weil sie mir die Grundlage gab, meine Familie und mich später nach Krieg und Gefangenschaft in Schleswig-Holstein erfolgreich auf eigene Füße zu stellen.

"Schön" war sie auch, denn da war ja Hitzdorf. Im Kreise der Hitzdorfer Jugend habe ich mich wohl gefühlt. Was haben wir Jungen für Streiche ausgeheckt, wir badeten in Meyer's See und machten weite Radtouren. Die Schule mit der Familie Hacker ist eine liebe Erinnerung, war doch der älteste Sohn Dietrich mein Lehrkamerad in Kleeberg. Zur Kirche fuhr ich mit der Familie Lehre, meinen Lehrherren, in der Kutsche und hatte meinen Platz in der Kirche in der 2. Reihe des Patronatsgestühls.

(Die Familie Lehre hattte keinen Anspruch auf einen Platz im Patronatsgestühl, denn es gab kein Kirchenpatronat in Hitzdorf!

Dort saßen die Mitglieder vom Kirchenrat!)

Damals ahnte ich noch nicht, welche Bedeutung sie einmal für mich bekommen sollte. Vergnügen fanden in beiden Gaststätten statt, bei Erdmann und bei Kraft. Ich gehörte einfach dazu, es war eine schöne Zeit. Da war aber auch ein Mädchen: Hilde Völker. Was war ich doch verliebt. Frau Hacker, unsere Lehrersfrau, transportierte kleine Briefe – nicht ohne Erfolg, denn im Herbst 1943 haben wir geheiratet. Mit dem Kutschwagen fuhren wir zum Standesamt Schwachenwalde und in der schönen Hitzdorfer Kirche wurden wir getraut. Hitzdorf war eine Insel des Friedens für meine Eltern und meine damals drei Jahre alte Schwester Monika, die aus der Reichshauptstadt Berlin, die unter ständigem Bombenhagel zu leiden hatte, gekommen waren. Mit viel Mut und Freude wollten meine Frau und ich auf dem Hof zupacken, wenn nur der Krieg erst zu Ende wäre.

Vier Jahre später fand ich meine Lieben in Schleswig-Holstein wieder, ohne beide Väter, beide verschollen, sicher haben sie das Kriegsende nicht überlebt. Wir, die mittlere Generation, fanden ein neues "Zuhause" – unserem Sohn wurde Alt-Mölln Heimat.

Nun waren wir drüben, der Sohn Dieter, 45 Jahre alt, und ich. Wir wohnten in Märkisch-Friedland bei einem Forstmeister, Chef über 11 Revierförstereien, als Jagdgäste. Er sprach soviel Deutsch, dass wir uns verständigen konnten. Am zweiten Abend kamen wir dann ins Gespräch über die Frage, die unseren Gastgebern auf der Seele lag: Wie haltet ihr es mit dem heutigen Polen?

Mein Sohn legte ihm den Reisepass vor: geboren am 28.06.1944 in Arnswalde. Ich sagte folgendes: Ich habe zwei Enkel, 18 und 15 Jahre alt, und sie werden in der Bundeswehr dienen. Ich will aber niemals, dass auch nur einer das Gewehr nehmen müsste, um nach Osten zu marschieren. Auch nur ein Toter wäre ein Toter zu viel. Das musste in diesem Moment gesagt werden und dazu stehe ich.

Er selbst, der Forstmeister, ist in Schwachenwalde geboren und hat dort seine Kindheit verlebt, die Eltern wohnen dort noch heute. Märkisch-Friedland, die jetzige Oberförsterei, ist immerhin 60 km von Schwachenwalde entfernt. Der Bruder arbeitet auf der Hitzdorfer Ziegelei in der Verwaltung (im Jahr 1990). Die Tochter, 17 Jahre alt, ist in Arnswalde im gleichen Krankenhaus geboren wie Dieter.

Einen ganzen Tag waren wir unterwegs. Märkisch-Friedland – Neuwedell – Arnswalde – Kranzin – Kleeberg – Hitzdorf.

Der Gutshof in Kleeberg wird landwirtschaftlich nicht mehr genutzt. Vor 50 Jahren ein moderner Super-Betrieb, ist heute fast verfallen.

(Das Gut der Familie Lehre in Kleeberg war bis 1945 kein moderner Super-Betrieb, dafür war es mit seinen 145 ha Land auch viel zu klein.)

 

 

Gutshof Lehre in Kleeberg.

 

 

Hitzdorf: ich kannte sofort alles wieder. Der traurige Eindruck wurde durch Nieselregen im Januar noch verstärkt. Dank unserer hochkarätigen Begleitung war der Kirchdiener (Es gab nie einen polnischen Kirchendiener. Die Frau im Nachbarhaus - früher Wegner - hat den Schlüssel.) schnell zur Stelle und schloss die Kirche auf. Sie ist, wenn man an die vorhandenen Mittel denkt, liebevoll gepflegt. Einfache Marienbilder sind uns ungewohnt. Und die Orgel ist immer noch so gut, wurde uns versichert.

Ich bin den Weg von der Kirche zum Völker'schen Hof still allein zu Fuß gegangen und habe an unsere Hochzeit vor jetzt 47 Jahren gedacht, mitten in diesem grausamen Krieg, als schon viele Familien trauerten und doch in Hitzdorf Frieden war.

Wir besuchten die Eltern des Forstmeisters in Schwachenwalde. Wir hielten an einer uralten Eiche an der Straße von Augustwalde nach Schwachenwalde. Als ich meiner Frau Hildegard davon erzählte, konnte sie sich an diese Eiche als Ziel von Schulausflügen erinnern.

 

 

Die alte Eiche bei Schwachenwalde.

 

 

Die Dragebrücke in Hochzeit, die alte Reichsstraße 1, war unser nächstes Ziel. Ein Fahrradausflug der Hitzdorfer Jugend 1936 ist mir noch gut im Gedächtnis. Der Forstmeister hat hier seine Volontärzeit verlebt und in der Drage Holz geflößt. Lange sprachen wir an diesem Abend.

Frage: Warum verkommen die Dörfer in unserer Heimat?

Antwort: Es fehlt an allem, daran ist die kommunistische Zuteilungswirtschaft schuld. Die Städte bekommen das, was da ist, und die Dörfer werden vergessen. Wird es nach Einführung der Marktwirtschaft besser? Es dauert sicher lange, aber irgendwann schaffen wir es.

Es ist die Heimat meiner Frau Hildegard Völker und war auch meine Heimat geworden, wo ich all die Energie, die ein junger Mann mitbringt, im Traumberuf Landwirtschaft einsetzen wollte.

Wir haben hier in Schleswig-Holstein ein neues “Zuhause“ gefunden, die Heimat blieb dort. Wir waren Dank viel Arbeit, Geschick, auch ein wenig Glück, erfolgreich. Für unseren Sohn und seine Kinder, 18 und 15 Jahre alt, ist die Heimat hier. Sie können sich nichts anderes vorstellen. Sollten sie später einmal in den herrlichen Wäldern um Märkisch-Friedland wandern und an den pommerschen Sandstränden baden, offene Grenzen würden das möglich machen. Die Enkel werden dann einmal sagen: Es war doch schön in der Heimat der Großeltern.

Die Heimat der Enkel ist es nicht mehr. Es darf nie mehr eine Vertreibung geben, zwei Generationen sind dort geboren. Die Toten Hitzdorfs, eine ganze Generation von Jungen in meinem Alter, sollte uns Mahnung sein. Der Zusammenschluss mit der DDR steht bevor. Das bedeutet Auftrag und Arbeit für die ganze jetzt in Arbeit stehende Generation. Erst dann werden dort die Spuren der sozialistisch-kommunistischen Zwangsherrschaft endgültig beseitigt sein. Auch das ist noch eine Folge des Krieges, den keiner von uns gewollt hat, den wir aber alle gemeinsam verantworten müssen. Der 18-jährige Sohn des  Forstmeisters lernt Deutsch am Gymnasium in Kallies. Ich sage zu ihm : Martin, nehmen Sie den Unterricht ernst. Die deutsche Sprache in Wort und Schrift wird einmal Voraussetzung für Führungspositionen hier bei euch sein, nur in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsgroßmacht Deutschland werdet ihr zu Wohlstand kommen. Martin schaute mich sehr ungläubig an. Der Vater nickte, doch Martin, ich glaube, dass er Recht hat.

Erinnerungen an Hitzdorf, nicht mehr, aber auch nicht weniger sollten es sein.

 

 

 

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